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Das italienische Wunder - Fritten, Fussball & Bier
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Fritten, Fussball & Bier / Kolumnen  / Schepperts Weltreise  / Das italienische Wunder

Das italienische Wunder

Hier schreibt Mark Scheppert eine Kolumne oder sagen wir mal seine Erlebnisse fr Fritten, Fussball & Bier auf. Mark Scheppert ist der Autor der wunderbaren Bcher “90 Minuten Sdamerika” und “Mauergewinner” und ist im Netz unter www.markscheppert.de zu finden.

Hohe Wellen trmen sich vor mir auf und pltzlich springen zwei Delfine ber die Schaumkronen. Langsam kommen sie mir entgegen geschwommen und lassen sich schlielich sogar berhren. Ein Glcksschauer luft mir ber den Rcken, als meine Hand ber ihre elastische Haut gleitet. Ich hatte das immer als Unsinn abgetan, doch die beiden scheinen mich tatschlich anzulcheln. Selbst als ich lngst mit einer Zigarette am Strand sitze, strecken sie uns vergngt die Kpfe entgegen. Sylvie legt einen Arm um mich. Unsere Zehen berhren die angesplte Brandung. Gebannt schauen wir aufs Meer und beobachten das einmalige Schauspiel. Ich wei in diesem Moment: So glcklich werde ich nie mehr im Leben – vor einem WM-Halbfinale mit deutscher Beteiligung – sein. Niemals!

Wir verlieben uns sofort in das kleine rtchen Itaunas mit seinen sandigen Wegen. Eine Pousada ist hier schner als die andere und schlielich finden wir eine Traumunterkunft mit Pool und gemtlichen Hngematten vor den Zimmern. Marie zeigt uns den Weg zum Strand. Wir berqueren einen Fluss und hinter dem Nationalparkschild verstehen wir, warum alle Gassen des Ortes so weichgesplt aussehen. Die sich vor uns auftrmenden Wanderdnen wehen unablssig beigefarbenen Sand in den Ort hinein. Dahinter liegt der blaue Atlantik.

Rechtzeitig sind wir zurck, duschen und streifen unsere Trikots ber. Überall im Ort liegen grn-gelb-blaue Girlanden im Dreck. Brasilien hat abgeschmckt. Wieder einmal sitzen wir allein in einer Kneipe. Deutschland gegen Italien. Das scheint hier niemanden vom Hocker zu hauen. Nach der torlosen ersten Halbzeit gehen wir kurz in unsere Pousada und sehen im Restaurant nebenan, wo sich die Hardcore-Fans des Ortes aufhalten. Hier! Endlich treffen wir Mauro, den italienischen (!) Inhaber unseres Hotels, der uns, trotz falscher Trikotfarben, herzlich begrt und sofort mit seinen Dorfkumpels und drei Freunden aus dem Land des Stiefels bekanntmacht. Die zweite Halbzeit beginnt. Das Lokal ist in grn-wei-roter Hand. Mauro und seine Gang tragen Trikots der „Squadra Azzurra“ und eine riesige italienische Fahne hngt von der Decke herab. Brahma-Bier und reichlich Kurze werden gereicht, was die Stimmung zustzlich anheizt. Ich habe endlich das Gefhl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Die Htte brodelt, als ob wir uns in Sizilien befnden. Wir hatten nichts von dem italienischen Sender gehrt, der mit seinen Anschuldigungen den Ausschluss von Torsten Frings verursacht hatte. Wir wussten nicht, dass gehssige Internetforen in Deutschland zum „Pizza bestellen“whrend des Halbfinales aufgerufen hatten. Wir empfanden auch nicht, dass Italien unberechtigt so weit gekommen war. Dennoch bilden sich sehr schnell zwei Fan-Lager: Sylvie und ich gegen den Rest.

Das Spiel ist nicht gut, lebt aber von der Magenkrmpfe verursachenden Spannung und als nach 90 Minuten noch immer keine Tore gefallen sind, ordern auch wir erste Beruhigungsschnpse. Mauro, der heibltige und zugleich so schelmisch grinsende Kerl, dessen einziger deutscher Satz: „Du bist eine Scheie-Italiener“ ist, platziert zur Verlngerung Heiligenfiguren im Raum. Die weihevolle Madonna direkt auf dem Fernseher wirkt in der 119. Minute. Das muss sie, denn Fabio Grosso ist der Torschtze. Der spielt bei Mauros Lieblingsverein: Palermo. Nach dem zweiten Tor dreht unser Hotelier endgltig frei. Die ganz groe Freude. Zumindest fr ihn und alle Italien-Fans auf dieser Welt. Erstmals im Leben fllen sich meine Augen wegen eines Fuballspiels mit Trnen und Sylvie nimmt mich trstend in die Arme. Nach und nach kommen die Gste an unseren Tisch und drcken ihr Mitgefhl aus. Barbesitzer Cassio stellt die Flasche Cachaça vor uns ab und Mauro setzt sich dazu. Er bettelt fast, dass wir nun bis zum Finale bleiben, in der Suite – ohne Aufpreis. Ich spre, wie meine Trauer allmhlich verfliegt, erhebe mein Glas und rufe: „Du bist eine Scheie-Italiener!“

Tatschlich falle ich in kein depressives Fuball-WM-Loch. Noch am Abend habe ich die bittere Niederlage verdaut und in den nchsten Tagen bekommen wir als Entschdigung, kostenlos Bier und Caipis an den Pool geliefert. Dazu gibt es sditalienische Kost. „Sylvie, Mark – Mangiare!“ (Essen!), ruft Mauro stndig. Im Spiel um die goldene Ananas gegen Portugal ist das komplette Dorf fr „uns“. So niedlich: Sandro hatte sogar deutsche Musik aus dem Internet herunter geladen. Rammstein und Marlene Dietrich. Wir singen lachend „Du hast mich“ und bejubeln gemeinsam das grandiose 3:1. Cassio schiet nach den Schweini-Toren riesige Bller vor der Kneipe in die Luft, die eigentlich fr das Finalspiel von Brasilien gedacht waren. Deutschland ist WM-Dritter. Alles macht Sinn.

Am Morgen des Finales ist Mauro hibbelig und vollkommen berdreht. Erstmals sehe ich ihn rauchen und auch, dass er die ersten Caipis vor 13 Uhr serviert, ist neu. Immer mehr Leute kommen in die Bar von Cassio. Mittlerweile kennen wir 80 Prozent von ihnen. Beim letzten Anpfiff der WM ist die Stimmung ausgelassen und zugleich hochexplosiv. Bereits in der siebten Minute werden unzhlige neue Heiligenfiguren auf dem Fernseher drapiert, die Zidane im weiteren Verlauf des Spiels verhexen sollen. Der hatte den Elfmeter mit einer unglaublichen Überheblichkeit unter die Latte gelupft. Wieder einmal wirkt der Zauber, da ausgerechnet der Strafstoverursacher Materazzi wenig spter zum Ausgleich einkpft. Durch einen coolen Spruch in der 110. Minute der Verlngerung sorgt er zudem dafr, dass „Monsieur Lichtgestalt“ die Nerven verliert. In Cassios Kneipe gibt es nach dem brutalen Kopfsto kein Halten mehr. Mauro brllt eine Salve wster Beschimpfungen durch den Raum. „Bist du bescheuert oder was? Rote Karte!“, feuere ich ihn an. Der franzsische Kapitn luft mit hngendem Kopf vom Platz.

Den WM-Titel hat Italien dann auch ein bisschen mir zu verdanken, da ich vor dem Elfmeterschieen eindringlich dazu rate, einen Extra-Heiligen fr den oftmals unsicheren Schtzen Del Piero zu platzieren. Es hilft und als Grosso das entscheidende Tor in die Maschen donnert, drehen alle durch. Ein Aufschrei ungeahnten Ausmaes erfllt die Kneipe minutenlang. Frankreich ist nicht Weltmeister, Deutschland bekommt Freibier und Brasilien schiet die restlichen WM-Bller in den Himmel. Vor Freude taumelnd, singen die Gste mit portugiesisch-italienischem Slang: „We are the champions.“

Als ich schon richtig einen sitzen habe, bittet mich Mauro, beim eigenen Fuballspiel mitzumachen. Ich ziehe dafr sogar extra mein Hellas Verona-Trikot an. Die Partie findet auf einem Kleinfeld gegen die ballverliebte Dorfjugend statt. Ich, Klosi, wie sie mich trotz des blau-gelben Shirts, nennen, spiele ganz manierlich und erziele sogar einen Treffer. Ohne Kopfste und Elfmeterschieen trennen wir uns friedlich 6:6. Mit Mauro springe ich kreischend in den Pool und Marie drckt uns lchelnd eine frische Caipi in die Hand. Was fr ein Abschluss einer Fuball-WM!

Liebe Deutsche, was sagt uns das zur Fuball-EM 2012? Holt bitte am Donnerstag gegen Italien alle eure Heiligenfiguren heraus (plus einen Extra-Heiligen fr Mario Gomez) und platziert sie auf dem Fernseher so, dass es diesmal fr Deutschland reicht!

Mark Scheppert
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