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Von Matthäus bis Manaus – Brasiliens Nordosten | Fritten, Fussball & Bier
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Fritten, Fussball & Bier / Abseits der Weltmeisterschaft  / WM 2014: Mark in Brasilien  / Von Matthäus bis Manaus – Brasiliens Nordosten

Von Matthäus bis Manaus – Brasiliens Nordosten

Hier berichtet Mark Scheppert für Fritten, Fussball & Bier von seinen Erlebnisse in Brasilien. Mark Scheppert ist der Autor der wunderbaren Bücher “90 Minuten Südamerika” und “Mauergewinner” und ist im Netz unter www.markscheppert.de zu finden.

Um 13.30 stiegen wir in Itaunas den Bus und bereits um 16.30 Uhr erreichten wir ein Städtchen namens São Mateus. Dort gab es jedoch ein Problem: der Bus für die Weiterfahrt war bereits ausgebucht und der nächste würde erst weit nach Mitternacht fahren. Das bedeutete, dass wir über acht Stunden in einem Ort ausharren müssten, der den Charme von Merseburg Hauptbahnhof hatte, relativ gefährlich wirkte – und vor allem so hieß, wie der in Brasilien so verehrte „Loddar“ mit Nachnamen. Matthäus hätte womöglich gesagt „Sis‘ are different exercises. Not only bumm!“ Okay, das Internetcafé, welches wir nach langem Suchen fanden, war, trotz der Kiddies, die sich leidenschaftlich irgendwelchen Ballerspielen hingaben, ein „Zeittotschlager“. In aller Ruhe las ich nach, was meine Freunde und die restliche Welt über die soeben beendete Fußball-WM 2006 zu berichten hatten. Deutschland feierte scheinbar noch immer den dritten Platz, und sich selbst.

Gegen 20 Uhr kehrten wir in ein räudiges Restaurant ein, um zwei weitere Stunden herum zu bekommen, denn gegen 22 Uhr machten sie dicht – mit dem freundlich gemeinten Hinweis, dass es in dieser Gegend viel zu gefährlich wäre, um noch länger geöffnet zu haben. Nun hieß es, drei weitere Stunden auf einem gruseligen Bushahnhof auszuharren und zu hoffen, dass uns keine Gang anhaut und mit gezücktem Messer höflich fragt, ob sie unsere Rucksäcke samt Wertgegenständen mitnehmen dürfen. Wie sagte schon Lothar: „I hope we have a little bit lucky.“ Wir kauften vier eiskalte Dosenbier Skol bei einen Mann mit zerknautschtem Gesicht am unbeleuchteten gelben Kiosk und versuchten uns eine gewisse Unbekümmertheit einzuschädeln. Besonders Sylvie hatte in diesem Provinznest – erstmals in Brasilien – ein äußerst ungutes Gefühl. Doch fast pünktlich um 1 Uhr trudelte der „Luxusbus“ ein. Mittlerweile waren wir komplett im Arsch, sodass uns sogleich die Äugelein zufielen. „Ein Wort gab das andere – wir hatten uns nichts zu sagen“, flüsterte mir ein Lothar Matthäus leise zu, während wir São Mateus verließen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAWir befanden uns noch immer in italienischer Hand, denn in Porto Seguro holte uns Mauros Kumpel Rino ab, um uns in seine Appartementanlage zu fahren. Es war bei ihm zwar etwas teurer, dafür hatten wir ein separates Schlafzimmer, Wohnzimmer und vor allem eine voll ausgestattete, eigene Küche. Die riesige Terrasse mit Hängematten gehört bei italienischen Brasilianern scheinbar sowieso zur Grundausstattung.

Nachdem wir etwas Schlaf nachgeholt hatten, schlenderten wir auf Kopfsteinpflaster durch die historisch-bunte Stadt, welche unter anderem dafür bekannt ist, dass die Portugiesen hier erstmals auf ein Land trafen, welches heute Brasilien genannt wird. Auf den ersten Eindruck mochte man meinen, Porto Seguro mit seinen farbenfrohen Häusern im Kolonialstil und einer Straße namens „Passarela do Alcool“ sei eine Touristenhochburg, wo es nachts wie in Mallorca zugehen würde – nur eben rhythmischer. Um es vorwegzunehmen: So war es nicht. P.S. ist im brasilianischen Winter (der mit 25 Grad durchaus zu überzeugen weiß) ein entspannter Ort mit ein bisschen Lambada-Nightlife in dieser Alkohol-Passage und im Zentrum. Ein sicherer Hafen.

Es war bereits Mittag – und eigentlich Zeit für Alkohol. Nein, wir leisteten uns lediglich ein vorzügliches Eis in einem Café am Wegesrand. Das Wetter war ein wenig durchwachsen, sodass wir uns nach dem Supermarktbesuch auf unsere eigenen vier Wände verzogen und die selbst gemachten Spaghetti-Bolognese und den ersten Rotwein seit Wochen genossen. Endlich hatten wir auch Spielkarten gekauft und beim Rommé zog ich Sylvie böse ab. Der „Alcohol Walkway“ musste bis morgen warten.

Rio Buranhem 2Wir schliefen sehr lang und bemerkten somit nicht, dass das Wetter fantastisch war. Sofort packten wir die Badesachen ein und dackelten zum Fähranleger. Porto Seguro hat zwar auch einige fußläufig erreichbare Strände, doch „die Hammerbuchten“ sollen alle auf der gegenüber liegenden Seite der Lagune liegen – erklärte uns Rino.

Auf der Autofähre tranken die meisten Passagiere in knalliger Sonne bereits ihre ersten Literflaschen „Cerveca Brahma“. Nicht wenige krakelten dabei lauthals Lieder. Daheim wäre mir das ziemlich auf den Keks gegangen. Doch in Brasilien genoss ich – wie zumeist auf dieser Reise – die ausgelassene Ferienstimmung. Die Bucht mit den kleinen Fischerbooten und hölzernen Seglern war zudem atemberaubend schön.

Auf der anderen Seite des Rios Buranhem waren wir uns nicht ganz sicher, ob wir hier schon richtig waren, weil es am Bootsanleger nicht sehr einladend aussah. Also beschloss ich, in den Bus zum Zentrum von Arraial d‘ Ajuda zu steigen. Sylvie zeigte mir zwar einen Vogel und als wir ankamen, gab ich ihr zunächst Recht, da wir auch dort nicht sahen, wo es zum angepriesenen Strand gehen sollte. Dennoch klarte die Stimmung rasch auf, da wir auf sandigen Straßen alsbald den Ortskern mit der niedlichen Kirche und endlich auch die beeindruckende, langgezogene Badebucht von oben erblickten.

Arraial d‘ AjudaDie Igreja (Kirche) soll übrigens Schauplatz eines Wunders gewesen sein. Das steht da sogar auf Englisch. Irgendein brasilianischer Jesus hatte dort eine Quelle in der Trockenzeit zum Sprudeln gebracht. Seitdem geht die Legende, dass jeder, der aus dieser Pfütze trinkt, nach Arraial d‘ Ajuda zurückkehren wird. Ãœbersetzt heißt der Ort übrigens „Volksfest der Hilfe“, musste ich Nichtgläubiger schmunzelnd erfahren.

Von der Hügelspitze – der Kern des eigentlichen Dorfes liegt auf einem begrünten Berg – sah das türkisfunkelnde Meer mit den vorgelagerten Riffen absolut hinreißend aus. Nach dem steilen Weg bergab bemerkten wir zum wiederholten Mal einen ungewöhnlichen Spleen der Brasilianer. Es gab direkt an der Straße zwei große Bars mit unzähligen Stühlen, Liegen und riesigen Boxen aus denen extrem laute Musik erschallte. Und genau dort tummelten sich alle! Rechts und links erstreckten sich einsame, kilometerlange Strände mit Schatten spendenden tropischen Bäumen im Hintergrund, doch die Einheimischen hockten auf einem Haufen und tranken – viele dabei hüfttief im Wasser stehend – Bier oder Caipirinhas. Am Morgen hatten wir von Rino erfahren, dass der Lambada praktisch in Porto Seguro und Umgebung erfunden wurde. Und tatsächlich: erstmals in Brasilien erspähten wir keine einzige aufgetakelte Speckbarbie oder aufgedunsene Fettfische, sondern ausschließlich verboten knackig-braune, schwarze und weiße Frauen wie Männer. „Dançando Lambada“ Yeah!

Nur dreißig Meter weiter sah man dann übrigens kaum Menschen mehr und dieser Strand war gut und gerne sieben Kilometer lang. Wir jedenfalls bevorzugten es, abseits der Massen zu liegen. Allerdings verschwanden wir nicht ganz außer Sichtweite, denn vielleicht gab es ja irgendein Gefahrenproblem, weshalb die Schönheiten alle zusammen blieben. Somit wurden wir weder überfallen, vergewaltigt – aber auch nicht gestört. Ich fand ein schattiges Plätzchen und nutzte mit Sylvie das, vom Korallenriff umgebene, funkelnde Meer, wie eine übergroße – mit Salzwasser gefüllte – Badewanne.

Hätten wir nicht zuvor so eine tolle Zeit bei Mauro in Itaunas verbracht – hier wären wir definitiv wieder versackt, denn überall im Ort gab es unzählige niedliche Pousadas mit liebevoll gestalteten Gärten, großen Pools, Open-Air-Restaurants, Bars und sogar einen Italiener, der einen drei Meter hohen Weltmeister-Pokal aus Pappmasche stolz vor seiner Pizzeria präsentierte. 2014 muss uns das Ding leider übergeben werden…

Porto SeguroAuf dem Rückweg zu unserem Apartment nahmen wir zunächst einen Schluck vom heiligen Quellwasser an dieser Kirche und kamen danach in Porto Seguro nicht an der berüchtigten „Passarela do Àlcool“ vorbei. Die zwei (oder drei) gereichten „Capeta“ – eine Wahnsinns-Mischung aus Wodka, Ananas und Zimt auf Eis – schädelte uns ziemlich weg. Ein schöner Tag endete im Alkohol- und Liebesrausch tief in der Nacht.

Am Bushahnhof sahen wir am nächsten Tag, dass auch Porto Seguro seine Favelas hat. Hier waren es Zelte aus Plastikplanen in denen die extrem arm wirkende Bevölkerung hauste. An dem umzäunten Areal hingen Schilder, die Luxusimmobilien anpriesen. Krass!

Nach einer anstrengenden Busfahrt landeten wir um 16 Uhr in Ilhéus. Ich wusste, dass der berühmteste brasilianische Autor – Jorge Amado – in dieser Stadt geboren wurde und auch, dass sein vielleicht bedeutendster Roman mit der wunderhübschen Mulattin „Gabriela wie Zimt und Nelken“ in den Straßen und Bars der ehemals reichsten Stadt Brasiliens spielt.

Nach kurzem Grübeln beschlossen wir jedoch, weiter nach Itacaré zu fahren. Zum einen hatte ich von Amado bisher lediglich sein Kultbuch „Herren des Strandes“ gelesen (welches ausschließlich in Salvador da Bahia spielt) und zum anderen sollte der Strandort nur 18.000 Einwohner haben – statt 220.000 in Ilhéus. Außerdem schwärmten schon einige unserer bisherigen Wegbegleiter von der (!) Surfer- und Hippiestadt Brasiliens.

In einem vollbesetzen Minibus erreichten wir kurz vor 19 Uhr den angepriesenen Ort und ließen uns, da wir völlig planlos und noch immer ohne Reiseführer unterwegs waren, von einer Schleppertruppe in eine Unterkunft führen. Das Hostel „International“ war schäbig und die Inhaber besaßen die Frechheit, für die dunklen Zimmer 80 Real pro Person zu verlangen. Zum Vergleich: bei Mauro in Itaunas hatten wir 40 R$ pro Nacht für die Suite bezahlt – mit Swimmingpool, Hängematten-Terrasse und kostenlosem Caipi-Service.

Wir überließen die Bruchbude den zahlreich angereisten internationalen Rucksacktouris und fanden ein ähnlich schlechtes Hotel am Hauptplatz des Ortes. Das Zimmer war eigentlich gar nicht so übel, aber bereits jetzt brüllten etliche Traveller ununterbrochen auf dem Hof herum. Der ganze Ort war komplett auf diesen Backpacker-Scheiß ausgelegt, von kiffenden Hippies, Reggae-Rastas und coolen Durchgeknallten keine Spur. Unzählige Lokale und Agenturen (für die ganz großen Abenteurer, wie Surfen, Reiten, Kanufahren, Mountainbiking und Rafting) buhlten um Kundschaft. Vielleicht waren wir auch einfach zu kaputt und konnten nur deshalb die laut kreischenden Mädels (die alles „amazing“ und „awesome“ fanden) momentan nicht ertragen. „Kann man eigentlich auch Frauen mit einem Capoeira-Tritt bewusstlos kicken?“, fragte ich Sylvie auf dem Weg zum Essen.

Wir aßen eine lasche Moqueca (Brasiliens sonst so vorzüglichen Fischeintopf), tranken lauwarmes Bier (trotz Cooler) und gingen recht früh ins Bett. Dies hätten wir uns durchaus schenken können, da es bis 4 Uhr nachts unerträglich laut auf dem Hof und der Straße war. Und bereits früh um 7 Uhr trampelten die ersten Spinner auf ihrem Weg zum Adventuretrip in den vermeintlichen Urwald durch die Gänge.

Zwar konnten wir nochmals pennen; trotzdem waren wir gerädert und vor allem genervt von dem Ort mit seinen äußerst lässigen Bossa-Nova-Pseudo-Surfern. Ich versuchte Sylvie dennoch zu überreden, einen dreitägigen Kurs zu buchen und das bescheuerte Treiben abseits des Trubels in den schäumenden Wellen einfach zu ignorieren. Doch dann trafen wir Edward. Dem armen Jungen hatten sie gestern in unserem Hotel sein komplettes Gepäck aus dem Zimmer geklaut, als er sich gerade beim Surfen an einem „lovely beach“ befand. Die Diebe waren scheinbar von außen durchs Fenster in seinen Raum geklettert und hatten sich nicht mal die Mühe gemacht, nach Wertsachen zu suchen, sondern einfach alles mitgenommen: seinen großen und den kleinen Rucksack, inklusive des Geldes, der Kamera und vor allem seines Passes. Er besaß nun buchstäblich nur noch das, was er am Leibe trug. Bei uns hätte dies wahrscheinlich die Heimreise bedeutet. Der Engel mit dem Engelsgesicht (Sylvie) schenkte ihm 100 R$ für die Fahrt nach Salvador.

ItacareDanach verrammelten wir unser Zimmer und gingen für ein paar Stunden an den überfüllten Stadtstrand „Praia da Concha“. So richtig genießen konnten wir die Beachstimmung nun nicht mehr. Die Kulisse mit den überdrehten Partyhühnern nervte außerdem zusehends. Lediglich den am Strand Fußball spielenden Engländern und Amis hätte ich gerne mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Zusammen mit den schwarzen Jungs, die nebenan dieses Spiel in Perfektion zelebrierten!

Einen schönen Augenblick gab es aber noch. Als wir auf die Mole gingen, sahen wir eine einsame, riesige Meeresschildkröte durchs Wasser gleiten. Die hatte sich wohl im Ort geirrt! Der Tag dümpelte vor sich hin und in der Nacht freuten wir uns bereits diebisch auf neue, abenteuerlichere Erlebnisse auf unserer Reise durch den Nordosten Brasiliens.

Ungewöhnlich früh standen wir auf. Sylvie kaufte Frühstück im Minimarkt während ich die Bustickets holte damit wir keine Zeit verschwenden mussten. Auf Schotter- und Sandpisten fuhren wir durch tropische Regenwälder, entlang malerischer Flüsse, sahen spektakuläre Wasserfälle und äußerst idyllisch wirkende Käffer. Ein bisschen ärgerten wir uns, dass wir überhaupt nicht wussten, wo wir uns gerade befanden und nicht mit einem Auto unterwegs waren, denn hier hätte sich ein Zwischenstopp sicherlich gelohnt. Andererseits zog es uns schon seit Tagen fast magisch nach Salvador da Bahia – in die berühmt-berüchtigte Stadt der „Herren des Strandes“!

Mark Scheppert
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